Zusammenschau der Wellenflugmöglichkeiten im NE-Lee des Harz
[Carsten Lindemannn]
(Mit freundlicher Genehmigung des Autors entnommen aus
"DER LILIENTHALER" 1/1999, Organ der DAeC-Landesverbände Berlin und Brandenburg)

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Dokumentübergreifende Links: Carsten Lindemann: Flugbericht vom 31.10.2000

Bei Wernigerode wartet ein kräftiger Rotor

Leewellen im Mittelgebirge - mit der "Kilo-Met" über dem Harz unterwegs

Wie es anfing: Als Hans Deutschmann und Wolf Hirth am 3. März 1933 über Hirschberg am Riesengebirge erstmalig in einer Leewelle flogen, spekulierten sie zwar richtig, daß es sich um ein vom Riesengebirge im Lee ausgelöstes Wellenphänomen auch mit Aufwindströmungen handelte, sie ahnten aber natürlich nicht, daß man irgendwann später einmal fast 15 km hoch in die Stratosphäre hineinsteigen oder gar 2000 km darin weit fliegen könnte. Das Phänomen, das im Riesengebirge häufig an die Moazagotlwolke geknüpft war, wurde regelmäßig und zum Teil auch gezielt untersucht. Im Jahr 1938 hat Joachim Küttner als Wissenschaftler und Pilot die erste richtige umfassende physikalische Erklärung geliefert.

 Als in den 40er und 50er Jahren amerikanische Flugzeuge beim Überflug über die Rocky Mountains und die Sierra Nevada dramatische Auf- und Abwinde feststellten, die zum Teil mit erheblichen Turbulenzen verbunden waren - einer B 52 wurde das riesige Seitenleitwerk abgerissen -, entschloß man sich zu einem groß angelegten Forschungsprojekt, dem Sierra Wave Projekt. Mit von der Partie war wieder Joachim Küttner, der dort 1955 auch den noch heute gültigen deutschen Höhenrekord von 13500 m flog. Mit großem Aufwand, es waren viele Flugzeuge von Düsenbombern (B 47) bis hin zu Segelflugzeugen beteiligt, bekam man erstmalig ein umfassenden Bild der Leewellenströmung, der Rotoren und der Turbulenzen von einem Areal, das auch heute noch zu den bedeutendsten Wellengebieten zählt.

Der spektakulärste Flug im Lee der nur 300 m hohen deutschen Mittelgebirge bei Hannover fand am 31. Oktober 1968 statt, als Wilfried Reinhardt von Wunstort aus im Lee des Deisters 7800 m Höhe erreichte und dort eine besonders starke Resonanz der Strömung genießen konnte.

Das Strömungsprinzlp: In der Abbildung oben sind einmal die wichtigsten Parameter einer guten Leewellenströmung dargestellt. Ein starker Wind bläst von links und muß einen Gebirgszug übersteigen. Die Strömung im Luv erzeugt einen Hangaufwind, der kaum höher als 500 m über den Hang hinaus reicht und manchmal durch die Hebung mit Niederschlag verbunden ist. Wichtiger ist, daß im Lee des Gebirges die Strömung tief zu Tal fällt - von einem Tief (weit) im Lee arigesaugt - und fängt an zu schwingen, wenn die Strömung stark genug ist, leicht mit der Höhe an Geschwindigkeit zunimmt und eine kleine stabile Schichtung oberhalb der Berggipfel enthält. Das kann eine Isothermie oder Inversion sein, die innerhalb der Strömung hinabgerissen wird und den eigentlichen Schwingungsmechanismus einleitet. Unterhalb der Wellenberge bilden sich häufig turbulente Rotoren, die thermikartig ausgeflogen werden können. Die Rotorwolken sind Cumuluswolken, die aus der Luft vom Talboden aus gebildet werden; die im mittleren oder hohen Niveau sich bildenden Lenticulariswolken werden durch die Amplitude der Höhenströmung, die ihr Kondensationsniveau erreicht, geformt. Sie bilden sich auf der Luvseite der Wellen und lösen sich in der Abwindseite immer wieder auf.

Wellen Im Mittelgebirge: Immer wieder wurden in den deutschen Mittelgebirgen kleinere Flugaktivitäten zur Untersuchung der Leewellenströmung vorzugsweise im Winter unternommen. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen konnten Höhenflüge zur Erreichung der GoldC oder des Höhendiamanten nicht absolviert werden.

Es waren weniger die Luftraumbeschränkungen sondern mehr die Häufigkeit des Phänomens, die auch heute noch keine Einrichtung von Wellenfluglagern im Mittelgebirge sinnvoll erscheinen läßt. Die DDR-Segelflieger fuhren ins Riesengebirge, den traditionellen Ort der Entdeckung, die Bundesrepublikaner fuhren bis in die 70er Jahre hinein häufig sehr gezielt nach Innsbruck für den Alpenwellenflug. Später entdeckte man auch für die Mitteleuropäer die wunderbare Fliegerei in der Provence, wo sich sicherlich für Europa die größte Wellenhäufigkeit zeigt, wenn der Mistral bläst, dieser starke kalte Nordwind, der manchmal sturmartig das Rhonetal hinabfegt und an den Randgebirgen bis hin zu den Seealpen sehr häufig starke Wellen erzeugt.

So blieben die Wellen der deutschen Mittelgebirge eher Zufallstreffer, und obwohl heute auf den meisten Flugplätzen in der weiteren Umgebung von Harz, Thüringer Wald, Weserbergland, Taunus, Odenwald usw. viele Motorsegler stationiert sind, sind kaum Wellenflüge gemacht worden. Der Verfasser kann sich eigentlich nicht vorstellen, daß die deutschen Segelflieger zu wenig neugierig geworden sind oder gar ihr Flugvergnügen nur an zählbare Leistung knüpfen.

Etliche dokumentierte Flüge wurden von einigen Segelfliegern in den 60er Jahren vom Fliegerhorst Wunstorf aus durchgeführt. Eine weitere kleine Aktivität in jüngerer Zeit wurde mit dem Motorsegler (ASK 16 D-KMET) der Freien Universität Berlin durchgeführt. Die in diesem Rahmen von etwa 20 Flügen gemachten Erfahrungen sind in ein neues Nachdenken über solche Wellenflüge gemündet. Die Flüge wurden erst von Schönhagen und später von Lüsse aus gestartet, sie haben bislang nicht den Superflug mangels geeigneten Wetters und der idealen Erfüllung aller wichtigen Parameter ergeben. Schließlich müssen dann auch Flugzeug und Pilot verfügbar sein. Immerhin konnten mit einer maximalen Höhe von 4600 m mit einem Abbruch bei 1 m/s Steigen mehrere Höhengewinne über 3000 m am Harz verbucht werden. Es lassen sich jetzt einige bekannte Prognosekriterien verfeinern, die eine größere Sicherheit in der Prognose der Wellenwahrscheinlichkeit gerade für die Mittelgebirge ergeben.

Dabei muß berücksichtigt werden, daß die Wellenlänge und damit die Abstände zwischen den Steigorten mit der Windgeschwindigkeit variieren. Eine Wellenlänge von zehn bis 15 km ist sehr häufig bei mittelguten Wellen. Ist die Welle gut ausgeprägt, kann man in deutlich unter 1000 m Höhe über Ballenstedt Flugplatz einsteigen und in gleichem Abstand zum Talabfall des Gebirges bis weit über Wernigerode hinaus fliegen und steigen. Ist die Welle nicht so gut ausgeprägt, sollte man seine Zeit nicht erst über Ballenstedt bei kleinem Steigen verplempern, sondern gleich nach Wernigerode fliegen, wo bei günstigen Bedingungen ein kräftiger Rotor auf alle losen Gegenstände im Cockpit wartet. Bei geringeren Windgeschwindigkeiten kann der sogar zwischen Wernigerode und dem Brocken liegen, dann sollte man allerdings mindestens 1000 m hoch sein. Der Rotor ist dann zumeist an einer richtigen turbulenten Cumuluswolke erkennbar.

Die Abbildung oben zeigt das Diagramm von Lester-Harrison, das eigentlich aus den Daten des Sierra Wave Projects heraus entwickelt wurde. Eine qualitative Abschätzung ergibt sich aus der Druckdifferenz zwischen Luv und Lee bezogen auf 320 km. Bei großer Druckdifferenz ist ein starker bodennaher Wind zu erwarten. Sie zeigt auch, daß die Strömung zusätzlich im Lee noch tiefer herabfallen kann. Das erzeugt unter anderem die eigentliche Amplitude in Kombination mit der durch den Leeabfall der Strömung auch ausgelenkten Inversion. Nimmt die Windgeschwindigkeit auch noch etwas mit der Höhe zu, ist die Strömung schwingungsfähig. Das Diagramm erfordert nur den maximalen Wind für die Mittelgebirge zwischen 1000 und 2000 m über dem Gipfel bzw. seine auf die hangsenkrechte Strömung (mit cos) reduzierte Komponente. Bei einigen Tagen konnte ein unmittelbarer Vergleich zwischen der erreichbaren Höhe am Riesengebirge und am Harz gezogen werden. Am 17. Oktober 1998 wurden am Riesengebirge mit 7100 m Höhe gute Wellen festgestellt, direkt im Lee des Harzes bei guten Lenticulariswolken in noch 1600 m Höhe keine vernünftig nutzbare Schwingung, allerdings ein deutliches Steiggebiet mit 2 m/s weit im Lee nahe der Saale/Elbemündung. Hier wurde das Relief im niedrigeren Niveau möglicherweise nur derart angeregt, daß in Kombination und Phase mit der Schwingung des Thüringer Waldes (etwa 100 km luvwärts) keine Welle unmittelbar im Lee des Harzes erzeugt wurde. Die Windkomponente ergab für den Harz 73 kts, für das Riesengebirge nur 35 kts, ein nach bisherigen Erfahrungen viel geeigneter Wert, der sich auch für die Berge der Provence als günstig anbietet.

Der Wind kann auch zu stark sein, besonders wenn die Form der Berge und die Phasenbeziehung zwischen mehreren Hindernissen ungünstig ist. Am 28. Dezember 1998 wurden am Harz 4100 m Höhe mit einem Motorsegler erreicht, am Riesengebirge 4300 m mit einem Junior. Hier waren die meteorologischen Bedingungen für den Harz etwas besser.

Die Kriterien aus Kombination von Druckdifferenz und maximalem Wind liegen in einem Bereich, der auch Vertikalgeschwindigkeiten enthält, die nach den Erfahrungen für den Harz die maximalen Vertikalgeschwindigkeiten bedeuten, für das Riesengebirge eher die mittleren Werte darstellen. Das Riesengebirge ist damit natürlich günstiger als der Harz. Das liegt weniger an der größeren mittleren Höhe über der Umgebung, sondern an der einheitlicheren Struktur mit einer fast geradlinig durchgezogenen Kammlinie, die es so im Harz nicht gibt. Dort ist nur der sehr unterschiedlich hohe Harzabfall in die Ebene nach Nordosten die geradeste Linie. Der Rest ist sehr unregelmäßig strukturiert, nur der Kessel vom Brocken Richtung Wernigerode läßt durch seine Form eine bessere Wellenträchtigkeit erahnen. Zudem sind die Wellen im Riesengebirge etwas häufiger, da bei einem mittleren Höhenwind im Winter von 255° und einer Senkrechten zur Kammlinie von 220° die Windrichtung eben etwas häufiger stimmt als die 207° beim Harz mit einem mittleren Wind von 260°.

Wellen im Mittelgebirge sind nicht spektakulär, sie enthalten aber alle Parameter wie die der sehr kräftigen und hochreichenden Wellen anderer bedeutender Wellengebiete. Sie hellen das fliegerisch trübe Winterdasein etwas auf und stellen bei einem häufig wunderschönen Himmel ein echtes Erlebnis dar, das eigentlich nicht durch die Jagd nach zählbaren Leistungen korrumpiert werden sollte. (Der Autor hält ein Diagramm mit der typischen Lage der Aufwindgebiete im Harz bereit.)

Die wichtigsten Parameter für mittlere und gute Leewellen am Beispiel des Harzes

Hilfsmittel z.B. aus PC-MET Carsten Lindemann 

(Stand: Januar 1999)