Leewellen-Theorie
zur Diskussion:
"Mechanismen der Auslösung von Leewellen"
In Segelfliegerkreisen - aber auch weit darüber hinaus - ist m.E. zur Erklärung der Vorgänge bei der Entstehung von Leewellen, nur ein sehr einfaches Denkmodell verbreitet, das nicht mit allen Beobachtungen in Einklang zu bringen ist, die seit den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts gemacht und z.T. auch während der letzten fünf Jahre (u.a.) an dieser Stelle dokumentiert wurden. Dies scheint mir durch die unangemessen stark vereinfachende Art der Darstellung der Zusammenhänge in allgemeinverständlichen Lehrbüchern bedingt zu sein.
So möchte ich einen - sicher noch unvollkommenen - ersten Vorstoß wagen und an dieser Stelle einen schlaglichthaften und somit stark vereinfachenden Überblick über die in der wissenschaftlichen Primärliteratur zum Thema entwickelten Modellvorstellungen bzgl. der Auslösung von Leewellen (vorerst nicht zu deren vertikalen Ausbreitung!) bringen:
Das hydrostatische, "klassische" Föhnmodell:
Angetrieben von großräumigen
Luv-/Lee-Luftdruckunterschieden kommt bodennahe Kaltluft im Luv eines im
Optimalfall rechtwinklig zur Windrichtung gelegenen, langgestreckten
Strömungshindernisses zum Stau. Sofern die kinetische Energie der Strömung
ausreicht, die aus der vorherrschenden stabilen Schichtung resultierenden,
rückstellenden hydrostatischen Kräfte zu überwinden, kommt es zum
Überfließen im Kammbereich [Küttner,
1939; S. 256ff oder aktueller: UCAR, 2004a].
Die Bewegungsenergie der absteigenden Strömung wird dabei im Wechselspiel von
hydrostatischen Kräften ("Abtrieb") und der Schwerkraft über die
Niveaudifferenz der beiden Kaltluftseeoberflächen durch die Umwandlung aus der
Energieform der Lage bezogen [Küttner,
1939; zusammenfassend auf S. 265].
Der wegen fehlender Staueffekte im Lee dort ohnehin geringmächtigere
Kaltluftsee stagniert permanent im hangnahen Bereich. Dies auch, falls in
größerer Entfernung leewärts eine Absaugung mit hohen Geschwindigkeiten
stattfindet. Die Folge ist auch dann nur eine mit Windstille verbundene,
allmählichen Spiegelsenkung am Kaltluftpolster [Küttner,
1939; S. 258ff].
Beispiel einer möglichen Stauform mit
Überkommen von Kaltluft aus den oberen Bereichen des Staus.
Hier sind auch andere Formen denkbar, die jeweils eine spezifische
thermodynamische Ausprägung
(Ausmaß der relativen Erwärmung im Lee, vgl. folgende Abb.) der Föhnströmung
bedingen
Ist die Temperatur in den oberen
Bereichen der luv- und leeseitigen Kaltluftseen in etwa gleich (Modellannahme
in Anlehnung an die "Blocking-Theorie" von Scorer und Klieforth,
1959), so weist die am Leehang
abgestiegene Luft - durch die dabei erfolgende adiabatische Erwärmung - eine
höhere Temperatur als die der dortigen Kaltluftseeoberfläche auf (Vgl. Abb.
u.).
(Dieser Effekt ist auch in anderen Modellszenarien zu erreichen: etwa durch die
Setzung, daß die Lufttemperatur im Luv a priori höher ist als im Lee [UCAR,
2004b], oder - nach gängiger
Lehrbuchdarstellung [Div.
Quellen, z.B. Hesse, 1984, S.200, Weischet, 1979, S. 176, UCAR, 2004b]
- dadurch, daß die Abkühlung beim Aufstieg im Luv über eine Teilstrecke - in
der mit Niederschlag verbundenen Staubewölkung - mit dem kleineren
feuchtadiabatischen Gradienten erfolgt, die Erwärmung beim Abstieg im Lee aber
(wegen des niederschlagsbedingten Feuchtigkeitsverlustes) durchweg mit dem
größeren trockenadiabatischen Gradienten vonstatten geht.)
Dies führt zu einem Aufgleiten der abgestiegenen, somit also spezifisch
leichteren Luftmasse. Dabei werden durch Reibungseffekte - ähnlich wie bei
einer dem Wind ausgesetzten Gewässeroberfläche - Scherungswellen an der
Grenzfläche ausgelöst.
Diese wandernden Wellen führen zu Druckfluktuationen am Boden [Nater,
1979], die nach dem heutigen Stande der
Wissenschaft für menschliche Befindlichkeitsstörungen bei
Föhnwetterlagen verantwortlich zu machen sind [Quelle
folgt].
Reibungs- [Küttner, 1939; S.
288ff] und
insbesondere Verdrängungseffekte [keine
Quelle!] führen schließlich zur
Formierung von stehenden Rotoren und Wellen, die im Endstadium ihrer Entwicklung den
leeseitigen Kaltluftsee partiell ausräumen können (Föhndurchbruch zum Boden) [z.
Zt. keine explizite Quelle!].
Darstellung einer möglichen Variante der
relativen Erwärmung von leehangseitig absteigender Luft
mit
Aufgleiten auf die kältere Kaltluftseeoberfläche (Hier sind auch andere Formen
denkbar vgl. Text o.) und
Bildung von stehenden Wellen durch Verdrängungs- und Reibungseffekte.
Das "dynamische" Föhnmodell
Die Ausgangssituation ist weitgehend identisch mit der des klassischen Föhnmodells, unterscheidet sich allerdings durch die Tatsache, daß die Grenzfläche (hier die obere Begrenzung einer Bodeninversion, ebenso gut aber auch einer freien Inversion) - ohne Niveaudifferenz - knapp über Kammhöhe gelegen ist. Der die Grenzfläche vertikal auslenkende Impuls kommt hier - modellmäßig idealisiert - dadurch zustande, daß es durch den Widerstand des Strömungshindernisses (Verengung des Strömungskanals) im Einflußbereich des Luv-/Lee-Druckgefälles zu einer Spiegelsenkung im Lee kommt [Schweitzer, 1953, S. 360]. Anschaulich ist diese widerstandsbedingte Spiegelsenkung in einer (Wasser-) Gerinneströmung stromab eines senkrecht eingebrachten, flächenhaften Strömungswiderstandes (engmaschiges Sieb, Mattenfilter) zu beobachten [Eigene Beobachtung am Prandtl-Kanal des DLR-Göttingen].
Herabsaugen der Inversion im Lee des Hindernisses
als Folge des Luv-/Lee-Druckgefälles und der
Verengung des Strömungsquerschnitts
Auf diesem Foto (29.12.2003, Hochstaufen bei Bad
Reichenhall, Blick nach Südwesten) von Detfev (Hoppenrath) ist eine
Inversion im Kammniveau des Vorberges des Hochstaufen - markiert durch
Wasserdampfkondensation - wunderschön zu erkennen. Der Wind weht auf dem Foto
von links - gerade andersherum, wie man es wohl von der Anschauung her vermuten
würde. Eine deutliche Leewellenschwingung ist nicht zu beobachten. [Quelle -
mit Dank an Detlev (Hoppenrath): http://www.alpenstreckenflug.de/texte/bilder/foehn/Hochstaufen%2001.JPG]
Mit größer werdender Luv-/Lee-Druckdifferenz vergrößert sich auch die Eindellung in der Grenzfläche, in der sich schließlich auch ein Zug stehender Wellen ausbilden kann [Eigene Beobachtung am Prandtl-Kanal des DLR-Göttingen, z.Zt. keine weitere Quelle].
Vgl. Abb. oben, Entsprechend größere Auslenkung
der Inversion bei Verstärkung des Luv-/Lee-Druckgefälles
Dieses Foto entstand in den USA, im Bundesstaat
Colorado, bei Denver. Es handelt sich um eine Leewelle an den Rocky
Mountains. Hier wiedergegeben wegen der Einmaligkeit der Situation: Eine
große Landfläche westlich von Denver wurde kontrolliert abgebrannt und der
Rauch geriet in die Leewellenströmung. Deren unterer Bereich ist so
wunderschön markiert. Oben links die zugehörigen Lentis. [Foto: Brian
Lewis, Colorado Soaring Assn., per e-Mail von Frank Whiteley www.greeleynet.com]
Die oben (unter dem Punkt "klassisches" Föhnmodell) angerissenen thermodynamischen Prozesse spielen sich hier natürlich ebenfalls ab, sind aber in den Schemazeichnungen nicht mehr dargestellt. Umgekehrt werden bei dem hydrostatisch bestimmten (klassischen) Föhnmodell ebenfalls dynamische Effekte ein Rolle spielen. Eine präzise Abgrenzung zwischen dem "klassischen" und dem "dynamischen" Föhnprinzip scheint also eine künstliche zu sein, die sich auf jeweils extreme Ausprägungen derselben bezieht [ohne Quelle].
Vgl. Abb. oben, Klimaxstadium mit maximaler
Auslenkung der Inversion, schießender Strömung am
Leehang, und hydraulischen Sprung bei Maximierung des
Luv-/Lee-Druckgefälles
Wird die Luv-/Lee-Druckdifferenz schließlich maximiert, kommt es zu einem Verschwinden der stehenden Wellen und zu der Ausbildung eines hydraulischen Sprungs, in dem die dann enorme kinetische Energie des Leehangabwindes übergangslos in Wirbelenergie umgewandelt wird [Schweitzer, 1953, S. 361, eigene Beobachtung am Prandtl-Kanal des DLR-Göttingen]]. Carsten Lindemann wies in seinem Vortrag anläßlich des Leewellen-Fliegertreffens in Laucha am 5.3.2005 darauf hin, daß mit dem Auftreten einer solchen Strömungsform auch in Mittelgebirgen gerechnet werden kann.
Diese Zusammenhänge zwischen Luv-/Lee-Druckdifferenz, Strömungsgeschwindigkeit und Wellenintensität werden ebenfalls in dem auf empirischem Wege gewonnenen Lester-Harrison-Diagramm abgebildet [Nicholls (WMO), 1973, S.14f und Lindemann, 1999 ].
Der Küttner'sche Flutwelleneffekt
Schon im Jahre 1939 formulierte
Joachim Küttner folgende Zusammenhänge [falls
nicht anders ausgewiesen sämtlich nach: Küttner, 1939; S. 265ff oder
aktueller: Klemp, 2002]: Kommt es zwischen
einer hochgelegenen atmosphärischen Grenzfläche und einer Bodenerhebung zu einer Verengung des
Strömungsquerschnitts, so wird eine Beschleunigung der Strömung die Folge sein
(Kontinuitätsgesetz), die wiederum - eingebettet in das Potentialfeld der
Luv-/Lee-Druckdifferenz - nach Bernoulli eine örtliche Unterdruckbildung dort
bedingt - vorausgesetzt, es kommt zu keinen Stauerscheinungen im Luv (ansonsten
ergibt sich die Situation des oben beschriebenen "dynamischen"
Föhnmodells - was die Verwandtschaft zu diesem und damit auch zum hydrostatisch
abgeleiteten deutlich macht.). Diese Einschränkung ist dann am besten
gewährleistet, wenn eine labile Schichtung unterhalb der Inversion vorliegt.
Das wiederum erklärt den oftmals beobachteten Sachverhalt, das Wellen oberhalb
einer thermisch konvektiv durchmischten Schicht zu erfliegen sind. Eine
Erklärung, die mit den beiden erstgenannten Modellen nicht zu bewerkstelligen
ist [ohne Quelle].
Die Lage des Wellenaufwindes ist auffällig nahe am Kamm.
Eindellung der hochgelegenen Inversion über dem
Hindernis bei (unter-) kritischer Strömungsgeschwindigkeit.
Die Eindellung der Grenzfläche
über dem Gipfelbereich erreicht ihr Maximum, wenn die Strömungsgeschwindigkeit
identisch ist mit der Geschwindigkeit, mit der sich die getriggerten Wellen
entlang dieser Grenzfläche horizontal ausbreiten (kritische Geschwindigkeit). Die sich
stromauf bewegenden verharren dann auf der Stelle. Auf diese Weise kann ein
stehender Wellenzug ausgelöst werden.
Erhöht sich die Strömungsgeschwindigkeit darüber hinaus, so wandern die
Wellen stromab fort und es kommt über dem Gipfelbereich zu einer Aufwölbung
der Grenzfläche (Phänomen des hochreichenden Hangaufwindes).
Aufwölbung der hochgelegenen Inversion über dem
Hindernis bei überkritischer Strömungsgeschwindigkeit.
Ein Nachsatz:
Die Erforschung des Föhnphänomens hat bisher zur Formulierung von zehn Denkmodellen (Dürr, 2000 ergänzt um den Küttner'schen Flutwelleneffekt) zur Erklärung des Gesamtphänomens oder einzelner Teilaspekte geführt und ist zum Teil noch immer das Feld auch emotional geführter Kontroversen (obschon dem dynamischen Föhnmodell mittlerweile eine Vorreiterrolle zukommt) (Dürr, 2000). Hier aufgeführt sind nur solche, die eng verquickt mit der kausalen Erklärung des Auftretens von Leewellen sind. Der Anschaulichkeit und der intuitiven Erfassbarkeit halber handelt es sich hier fast durchweg um Analogien zur Flachwasserhydraulik, die aber mathematisch korrekt modelliert erfolgreich auf atmosphärische Verhältnisse übertragen werden können.
Diese hier getrennt voneinander grob
umrissenen Denkmodelle stehen für Aspekte des Gesamtphänomens, die sich in
natura außerordentlich komplex und ineinander verwoben darstellen. Dennoch
glaube ich, daß wir Segelflieger zum einen noch eine Menge theoretisches
Rüstzeug erwerben könnten, wenn es gelänge den Informationsfluß von Seiten
der Wissenschaft zu intensivieren und zum anderen durch Dokumentation von
Leewellen-Flügen durchaus auch Bausteine zur Verifikation, Modifikation oder
Falsifikation des einen oder anderen Denkmodells (im Mittelgebirgsraum
womöglich insbesondere zur "Flutwellentheorie") beitragen
können.
In diesem Sinne hoffe ich auf eine lebhafte - dabei möglichst konkrete -
Diskussion...
Das eingangs angesprochene, einfache und weit verbreitete Denkmodell, das Leewellen als Wiedereinschwingen eines Luftpakets in seine hydrostatische Gleichgewichtslage bei stabiler atmosphärischer Schichtung (ohne Grenzfläche) einfach als Folge einer beim Übersteigen eines Bergkammes stattgefundenen Auslenkung beschreibt (vgl. Abb. unten) ist ausschließlich eine zwar korrekte, aber auf rein qualitativem Niveau und ohne Berücksichtigung der in der Natur beobachteten atmosphärischen Randbedingungen von Leewellenereignissen erfolgende Beschreibung des zugrundliegenden physikalischen Prinzips.
Grundlegendes Denkmodell zur Leewellenentstehung
[Quelle: Eigener Entwurf]
Bei einer näheren Betrachtung
ergeben sich folgende Einwände gegen die Annahme einer alleinigen und direkten
Wirksamkeit dieses so weitgehend isolierten und idealisierten Prozesses:
In mächtigeren, hydrostatisch stabilen atmosphärischen Schichten erreicht die
zur Bildung von Wellen erforderliche kritische Geschwindigkeit sehr hohe Werte
(größenordnungsmäßig 100 m/s) (Küttner,
1939, S. 275), so daß also unter real
vorzufindenden Windgeschwindigkeiten keine Wellen zu erwarten sind.
Die - insbesondere seitlich wirkende - Geländeunregelmäßigkeiten
ausgleichende Wirkung einer atmosphärischen Grenzfläche fehlt bei diesem Ansatz. Es
resultiert hieraus ein Erklärungsnotstand, was die Ursache für den perfekt
laminaren Charakter der Leewellen-Strömung angeht [ohne Quelle].
Literatur- und Quellen-Verzeichnis:
Dürr, B. (2000): Föhn
heute und gestern - ein interdisziplinärer Forschungsbericht, Diplomarbeit,
LAPETH, http://www.pmodwrc.ch/staff/bduerr/diplom.pdf
Hesse, F. und Hesse, W. (1984): Der Segelflugzeugführer
Klemp, J (2002): Stratified flow over infinitely long ridges, Lecture
3, Skript zur Vorlesung im Rahmen der Summer School of Mountain
Meteorology an der Universität Trento http://www.unitn.it/ricerca/dottorati_form_av/estiva/programme.htm
Küttner, J. (1939): Zur Entstehung der Föhnwelle, Beiträge zur
Physik der freien Atmosphäre, 25, S. 251-299
Lindemann, C. (1999): Bei Wernigerode wartet ein kräftiger Rotor, Der
Lilienthaler (Organ der
DAeC-Landesverbände Berlin und Brandenburg)
1/1999 http://www.mittelgebirgsleewelle.de/scli199.htm
(vgl. auch http://www.mittelgebirgsleewelle.de/treffen04/cli/cli04.htm
und http://www.mittelgebirgsleewelle.de/treffen04/elo/elo04.htm)
Nater, W. (1979): Grenzschichtwellen als Ursache für kurzperiodische
Druckschwankungen, LAPETH 15
Nicholls, J.M. (1973): The airflow over mountains, Research 1958-1972, WMO
Technical note 127
Schweitzer, H. (1953):
Versuch einer Erklärung des Föhns als Luftströmung mit überkritischer
Geschwindigkeit; Archiv für Meteorologie, Geophysik, Bioklimatologie, Serie A,
Nr. 5, S. 350-371
Scorer, R.S. und Klieforth, H.
(1959): Theory of mountain waves of large amplitude, Quarterly Journal of
the Royal Meteorological Society, Nr. 364, Vol. 85
UCAR (2004a): Flow Interaction with
Topography, Tutorial herausgegeben im Rahmen des "COMET"-Programms der
"University Corporation for Atmospheric Research" (UCAR) in den USA: http://meted.ucar.edu/mesoprim/flowtopo/print.htm
UCAR (2004b): Mountain Waves, Tutorial herausgegeben im Rahmen des
"COMET"-Programms der "University Corporation for Atmospheric
Research" (UCAR) in den USA: http://meted.ucar.edu/mesoprim/mtnwave/print.htm).
Weischet, W. (1979):
Einführung in die Allgemeine Klimatologie, Teubners Studienbücher Geographie