Im Winter 1998 muß es gewesen sein, als wir uns mit Klaus Bothe von den
Vienenburgern (Flugplatz Bollrich, Goslar) trafen. Klaus hat über Jahrzehnte die Harzwellen
in dessen Nordostlee beobachtet
und auch erflogen. Darüberhinaus hat er umfangreiche Erfahrungen mit
Leewellenflügen in den Alpen sammeln können.
Klaus, Jürgen Bertram und ich saßen also zusammen, erzählten,
betrachteten Fotos und versuchten uns auch in Erklärungen. "Weißt
Du denn, woran Du merkst, daß Du hinten aus der Welle herausfällst?"
fragte mich Klaus eher unvermittelt. Wir wußten es nicht und so erläuterte
er: "Das Flugzeug fängt an zu schaukeln wie eine weichgefederte Limousine,
die über eine holprige Straße fährt."
Ich war begeistert. Klar kannte ich dieses Phänomen. In einer
schwachen bis auf etwa 1.300m reichenden Südwind-Welle über dem Tal
westlich des Steinbruches am Ith-Nordkopf (Auslöser?) hatte ich diese Erfahrung zuerst
gemacht: Das Flugzeug zeigte schwache, kaum merkliche Auf- und Ab- sowie
Nickbewegungen, die aber nur zu fühlen und nicht etwa am Horizontbild
festzustellen waren. Mit dem Eintreten dieser Erscheinung war auch das
schwache Steigen zu Ende gewesen.
Die geschilderte Beobachtung hatte auch ein weiterer Fliegerkamerad
ganz unabhängig von mir an gleicher Stelle zu gleicher Zeit gemacht.
Erst abends, nach dem Flug tauschten wir uns hierüber aus. Auch in
einer auf 3.000m reichenden Welle im Voglerlee
machte ich später noch einmal diese Beobachtung, allerdings ohne die
beschriebenen Nickbewegungen feststellen zu können.
So hatte Klaus also den Begriff für diese offenbar verbreitete
Erscheinung geprägt: "Limousinenschaukeln".
Abweichend von Klaus'
Deutung des Limousinenschaukelns als Indikator für ein leewärtiges
Hinausfallen aus der Leewellenaufwindströmung interpretierte ich das Auftreten
der Erscheinung als Zeichen dafür, daß die Leewelle soweit als
möglich durchstiegen sei (zu einem gegebenen Zeitpunkt).
Diese Deutung erscheint insofern plausibel, als Leewellen häufig
mit Scherungswellen vergesellschaftet sind (WMO,
1960, S.10). Sie zeigen sich häufig auf der Oberfläche
oder in der Gesamtstruktur von Ac lent.
Sind also diese Scherungswellen Auslöser des Limousinenschaukelns?
Wir werden weiter aufmerksam beobachten und Informationen sammeln müssen,
um diesbezüglich künftig ein klareres Bild entwerfen zu können.
Dabei können wir zunächst zurückgreifen auf einen Bericht von R.K. Pilsbury im Meteorological Magazine von 1955: Er berichtet, daß Flugwetterberater des Flugplatz Northold und Linienpiloten, die von dort aus flogen über mehrere Jahre ein starkes gemeinsames Interesse an "stehenden Wellen" verfolgt hätten. Dies gipfelte im Winter 1953/54 in einer organisierten "Flugberichts-Sammelaktion". Die Meteorologen wiesen die Piloten beim Briefing auf die Möglichkeit des Vorhandenseins von Leewellen hin und diese lieferten - entsprechend sensibilisiert - Berichte über Wellenerscheinungen auf den von ihnen über ganz Groß-Britannien beflogenen Strecken. In dem hier behandelten Zusammenhang interessiert uns aus dem gesamten, sehr aufschlußreichen Bericht von Mr. Pilsbury eine Beobachtung, die eher "by the way", ohne groß hervorgehoben zu werden, im Zusammenhang mit beobachteten Turbulenzerscheinungen in den Leewellenströmungen geschildert wird (frei übersetzt): "Von den 66 betrachteten Fällen waren 20 mit Turbulenz verbunden, alle außer zweien stellten fest, daß diese nur leicht war. Mehrere Piloten fanden schwache Turbulenz in der Art von Kopfsteinpflaster ("Cobbelstone-Turbulence"), und einer kommentierte, daß diese Vibrationen in der Größenordnung von 60 pro Minute auftraten." Aus dem summarisch angelegten Bericht von Mr. Pilsbury wird nicht deutlich in welcher Richtung die Flugwege jeweils die Leewellen-Systeme geschnitten haben und mit welchen Geschwindigkeiten geflogen wurde. Sicher ist allerdings, daß die Fluggeschwindigkeiten der Linienmaschinen deutlich über denen unserer Segelflugzeuge lagen, so daß die obige Frequenzangabe sicher nicht direkt in Bezug genommen werden kann. Dennoch scheint es gerechtfertigt das Phänomen in den Zusammenhang unseres hier behandelten "Limousinenschaukelns" zu stellen. Allein die Verwandtschaft des verwendeten begrifflichen Umfeldes ist interessant...
Einen weiteren schönen Hinweis zu dieser Thematik fand ich nun (16.09.01) in einem Bericht über Bill Ivans Rekordflug auf ca. 12.800m im Lee der Sierra Mountains im Jahre 1950 (WHELAN, 2000, S.60):
"Das vielleicht aufregendste, (...in dem geführten Gespräch...) nicht erwähnte Ereignis aber war die Turbulenz, die er in (ca.) 11.500m Höhe und intermittierend im Verlauf seines weiteren Steigfluges bis zur Gipfelhöhe erfuhr - etwas von Wellenpiloten selbst heute selten Erwähntes.
In einem direkt nach dem Flug erstellten, schriftlichen Bericht charakterisiert Ivans es als 'kleine Walzen...holprig wie eine aus quer-verlegten Baumstämmen bestehende Behelfsstraße'. Die Dinge in (ca.) 12.800m übersteigend, geriet er 'in Turbulenz , die das Flugzeug hin- und herwarf, als wäre es ein Ruderboot in rauher See'."
Und weiter - sicher etwas pathetisch, problematisiert WHELAN rhetorisch aus der Sicht des damaligen Erkenntnisstandes:
"Beide kürzlich erbrachten Höhenweltrekordflüge erfuhren unerwartete Turbulenz in den oberen Bereichen ihrer Wellen (In Ergänzung zu der erwarteten Rotorturbulenz unter ihnen). Was mochte dies bedeuten? Dies entsprach nicht dem Bild bisheriger Wellenflugerfahrungen. Konnte mehr an den Wellen sein, als das, was die Leute als normal anzusehen begannen?"
Im Rahmen der oben zitierten Passage aus dem Bericht von Bill Ivans über dessen Rekordflug spielt der Autor WHELAN vermutlich auf damals noch weitgehend unbekannte Einflüsse der Jetstreams auf die Tropopausen-nahen Leewellenbereiche an - eben die besagten Reibungseffekte. Diese Erkenntnis läßt sich leider - zumindest direkt - nur schwerlich auf unsere Mittelgebirgsleewellen übertragen...
Auch eine andere Beobachtung scheint mir in diesen Zusammenhang zu gehören: am 24.07.1996 schon früh morgens fielen mir lentiartige Strukturen auf. Den frühen Vormittag hindurch konnte ich immer wieder Blicke auf eine flache großräumige Ac lent (durch das Bürofenster) östlich von Kassel erhaschen. Diese mag bei dem vorherrschenden SSW-Wind von einer Leewellenschwingung an den Höhenzügen des Söhrewaldes gebildet worden sein. Überrascht stellte ich bei einem weiteren der häufigen Blicke fest, daß sich auf der Oberseite der Ac lent leewärts (vgl. Hinweis von Klaus Bothe) kleine wellige Strukturen gebildet hatten, die sich innerhalb eines Minutenzeitraums zu den in der Zeichnung unten dargestellten Formen entwickelten und dann auch schon verschwunden waren. Leider war kein Fotoapparat zur Hand, so daß ich nur die laienhafte Zeichung unten zur Illustration aufbieten kann.
Fasziniert und etwas ratlos entwickelte ich die Vorstellung, hier in
der Wolkenform abgebildet, sich brechende Scherungswellen gesehen zu haben.
Wie groß war meine Freude, als ich in der Literatur (GEORGII,
1968, S.27) zufällig eine Abbildung fand, die augenscheinlich
vergleichbare Formen zeigte und so meine persönliche Beobachtung prinzipiell
bestätigte.
Foto: P.E. Branstine, Denver/USA (GEORGII,
1968, S.27)
Liz Marshall (Fluent Inc.), Computational Cloud
Dynamics, aus: Fluent News, Fall 2004, S.11
(mit Dank an Klaus Hufnagel, Darmstadt, für die Zurverfügungstellung)
Wenn sich in kleinem Kreise die - auch an dieser Stelle verwendete - Bezeichnung "Seepferdchenschwänze" eingebürgert hat, sollte dieser Ausdruck doch schnell wieder vergessen werden. Die Wolkenformen werden allgemein als "billow clouds" bezeichnet.
Interessant scheint es abschließend zu rekapitulieren, daß
Scherungswellen als Folge der Reibung zwischen Luftschichten mit unterschiedlicher
relativer horizontaler Bewegungsgeschwindigkeit auftreten.
Im Rahmen eines ersten Erklärungsversuches könnte man also mutmaßen, daß
sich die beschriebene Reibung dann einstellt, wenn
der kulminierende Teil einer Leewellenströmung an aufgelagerten Atmosphärenschichten
entlangstreicht.
Wenn nun aber - zumindest landläufig - davon ausgegangen wird, daß die
Leewellenschwingung durch eine regelhafte Auf- und Abbewegung von
"Luftpaketen" in der sich mit Windgeschwindigkeit bewegenden Luftmasse
bestimmt wird, stellt sich die Frage, wodurch die Scherung gerade im Bereich der
Wellenköpfe zustande kommt.
Bewegt sich die Schwingung mit der Geschwindigkeit der versetzten Luftmasse, so
muß die Scherungserscheinung durch einen schichtungsbedingten Windsprung
großflächig sein und ausgelöst durch andere Faktoren nur in den Wellenköpfen
beobachtbar sein (Kondensation..., man fliegt eben nur da...).
Ist es aber eine nicht nur kleinräumig beobachtbare, sondern wirklich
kleinräumig nur im Bereich der Wellenköpfe vorhandene Scherung so könnte
dies bedeuten, daß die Leewellenströmung eine Relativbewegung zu der sie
hervorbringenden Luftmasse aufweist.
Ist das nicht interessant?
Leider können auch die Ausführungen dieses Dokuments (noch) nicht über den
Kenntnisstand der frühen Fünfziger-Jahre hinausgehen. Ergänzende
Erfahrungsberichte und Hinweise aus der Sicht des aktuellen Standes der
Wissenschaft wären - m.E. auch im allgemeinen Interesse - sehr hilfreich und
hochwillkommen!