Wellensegelflug am Elm, 14.08.66
[Rudolf Müller]
Quelle: "Handout" für den LVN-Streckensegelfluglehrgang im August 1989 in Oppershausen
(auch veröffentlicht im Aerokurier 2/67)

Dokumentinterne Links: Kurzkommentar von Prof. Georgii
Dokumentübergreifende Links: Leewellen über der Asse bei Wolfenbüttel

Am 14.August 1966 gelang mir am Elm ein Wellensegelflug,der mich auf eine.Höhe von 4400 m NN brachte. Es war dies der erste Wellenflug, der nach einem Windenstart vom Flugplatz Braunschweig aus erfolgte. Im folgenden will ich über diesen Flug berichten und die Wetterlage analysieren, die zu dieser Elmwelle geführt hat.

1. Flugbericht.

Nachdem wir in Braunschweig über Funk gehört hatten, daß die Helmstedter Segelflieger am Elm Wellensegelflüge ausführen, nahmen wir Funkkontakt mit einem Segelflugzeug auf, das sich aus 3700 m Höhe über Wolfsburg meldete. Der Pilot gab uns folgende Auskunft: "Einflug über Königslutter in 1800 m, Steigen 2 bis 3 m/s, Flugrichtung 240 Grad." Kurz danach wurde bekannt, daß ein anderes Flugzeug in 1400m in die Welle eingestiegen war. Daraufhin beschloss ich, es von Braunschweig aus zu versuchen, da die Thermik bis 1200 m reichte. Mit unserer Ka 6 startete ich um 13.30. Nach dem Ausklinken in 670 m fand ich gleich thermischen Anschluss. Mit 1,5 m/s Steigen ging es auf 1250 m Höhe. Die Versetzung betrug ca. 40 km/h und 60 Grad. (Siehe Flugwegskizze, Bild 1 und Barogramm, Bild 2


Bild 1: Lageskizze des Wellenfluges mit Flugweg

 Von dort flog ich im Gleitflug nach Königslutter, wo ich in 750 m ankam. Königslutter lag mitten in einem blauen Loch von etwa 15 km Durchmesser. Da hier kein Steigen zu finden war, flog ich nach Norden zur "Cumulus-Grenze" und tankte 300 m thermisch. Mit dieser Höhe flog ich wieder nach Süden vor, genau nach Sunstedt.(Kreuz in der Lageskizze) Nach dem "Bart" kam übliches "Thermikfallen von 1,5 m/s. Das Fallen nahm dann langsam ab und ging in leicht turbulentes Null über. Durch Verminderung der Fluggeschwindigkeit auf 75 km/h wurde es zum schwachen Steigen mit 0,5 m/s, welches im stetigen Übergang stärker und ganz ruhig wurde.

 
Bild 2: Barogramm des Fluges

Als das Variometer 2,5 m/s Steigen anzeigte, flog ich 240 Grad und 65 km/h. Bei dieser Geschwindigkeit stand ich über Grund und befand mich mitten in dem oben erwähnten blauen Loch. Genau voraus stand die Rauchfahne des Kalkwerkes Hemkerode, die in etwa 600 m Höhe einen deutlich erkennbaren Knick nach oben machte. Die Obergrenze der Cumulusbewölkung betrug 1700 m. Mit einem durchschnittlichen Steigen von 2,5 m/s erreichte ich sehr schnell 3200 m. Dort ging das Steigen relativ plötzlich in Fallen von 1 m/s über. In der Annahme, vorne aus dem Steiggebiet ausgeflogen zu sein. flog ich in Windrichtung (60 Grad) etwa 6 km zurück. Hier fand ich das Steiggebiet jedoch nicht und so flog ich wieder vor bis Sunstedt. Dort erreichte ich die Welle in 2000 m wieder. Das Steigen betrug wieder 2,5 m/s und ich flog jetzt mit 75 km/h, um nicht wieder hinten aus der Welle herauszufallen. In 3000 m betrug das Steigen 2 m/s, in 4000 m noch 1,7 m/s. Nachdem ich 4400 m Höhe erreicht hatte, brach ich bei 1,4 m/s Steigen den Aufstieg ab. Zum Erreichen von 5000 m Höhengewinn wäre eine Gesamthöhe von 5800 m NN erforderlich gewesen. Diese Höhe wäre wahrscheinlich erreichbar gewesen. (H.König aus Helmstedt hatte in 5400 m noch 1 m/s Steigen). Ich hatte aber kein Sauerstoff an Bord.

Der Abstieg erfolgte in 10 Minuten zum Braunschweiger Platz, damit noch ein Kamerad diese seltene Möglichkeit eines Wellensegelfluges wahrnehmen konnte. Leider ist aus besonderen Umständen kein neuer Versuch unternommen worden.

Im ganzen starteten von Braunschweig aus 6 Segelflugzeuge zum Elm, von denen 3 der Einflug in die Welle gelang. Die beiden anderen erreichten die Welle allerdings erst gegen 17.00 bzw. 18.00 Uhr. Beide erreichten 4300 m als Gipfelhöhe.

Während des Fluges machte ich folgende Beobachtungen:
1.) Die Temperatur in 4000 m Höhe schätzte ich auf 5 bis 10 Grad Celsius. (Handraushalten durch Kabinenfenster) Bei normaler Temperaturschichtung hätte es ‑10 Grad sein müssen. Siehe dazu auch den Temp (Bild 3)
2.) Durch die Sonneneinstrahlung direkt von vorne sank die Innentemperatur nie unter 20 Grad.
3.) Die Cumulusbewölkung, die in Braunschweig ca.4/8 betrug, nahm nach Osten hin sehr schnell ab. Etwa.20 km östlich Königslutter befand sich die Bewölkungsgrenze. Weiter östlich konnte ich keine Wolkenbildung feststellen.
4.) Lenticularis bildeten sich erst in etwa 40 bis 50 km Entfernung. Das ist etwa die vierte Welle nach dem Elm.

 2. Voraussetzungen zur Wellenbildung am Elm.

Der Elm ist der höchste und massivste Berg eines aus fünf Höhenzügen bestehenden Systems. (Hainberge 200 m, Lichtenberge 250 m, Oderwald 200 m, Asse 210 m, Elm 300 m) Diese Höhenzüge erstrecken sich jeweils quer zu einer Linie 240 Grad und haben untereinander einen Abstand von im Mittel 11 km. (Siehe auch Bild.1)

Im Aerokurier 9/65 befasst sich Prof. Georgii mit dem Problem der Wellenentstehung. Aus dieser Untersuchung läßt sich entnehmen, daß für das oben beschriebene System eine Windgeschwindigkeit von 14 m/s = 50 km/h = 27 kt. notwendig ist, um eine wirksame Wellenströmung entstehen zu lassen. Weiterhin wird für eine Hindernishöhe von 300 m eine maximale Wellenhöhe von 2000 bis 2500 m angegeben.

Am 14.8.1966 blies ein sehr gleichmäßiger Wind aus 240 Grad mit im Mittel 25 kt. Dieser für das Elmsystem fast ideale Wind führte zur Bildung der ausgeflogenen Elmwelle. Wie ist nun aber die an diesem Tag erreichte Höhe der Welle zu erklären, die fast dreimal so hoch war, wie zu erwarten ist?

Um diese Frage zu klären, sei kurz die allgemeine Wetterlage vom 12.8 bis 14.8.66 dargestellt. Wie aus den Wetterkarten ersichtlich, lag Mitteleuropa am 12.8. unter dem Einfluss eines ausgedehnten Hochdruckrückens, der aus SW warme Mittelmeerluft heranführte. Ein noch schwach ausgebildetes Frontsystem baut sich auf der Linie Spanien-England-Schweden auf. Am 13.8. hat sich das Frontsystem nach Osten verlagert und zu einer Zyklone weiterentwickelt. Über England beginnt sich ein Tiefdruckkern aufzubauen. Mitteleuropa wird weiterhin von warmer Luft aus SW überströmt, während Westeuropa unter den Einfluse kalter, aus dem Raum Island stammender Luft fällt.

Die Kaltfront erreicht Braunschweig am 14.8. gegen 03.00 Uhr. Sie bringt eine plötzliche starke Abkühlung von 10 Grad und starken Wind aus 26o Grad.

Das Tief über England verlagert sich nordostwärts. Die Druckdifferenz zwischen dem Azorenhoch und dem Tief beträgt inzwischen 40 mb mit besonders starkem Druckgradienten über der Nordsee.

Wetterentwicklung vom 12.08.66 bis 14.08.66:
Bodenkarten mit 5 mb Isobarenabstand

      
12.08.66 12:00 Z                                         13.08.66 12:00 Z

     
14.08.66 10:00 Z                                         14.08.66 12:00 Z

Besonders interessant sind die Temps, von denen die bei den ersten noch in der Warmluftzone liegen (Bild 3). Wie man sieht, hatte sich der Kaltlufteinbruch am 14.8. mittags schon bis etwa 3000 m Höhe ausgewirkt. In 2000 bis 2500 m lag eine schwache Inversion, gleichzeitig nahm die Windgeschwindigkeit in dieser Höhe von 25 kt auf 40 kt zu. (Bild 4).


Bild 3: Die Temps


Bild 4: Windstärke

Dieser Windgeschwindigkeitssprung erklärt auch das "Herausfallen" in 3200 m. Diese beiden Faktoren, Inversion und Windstärkensprung in gleicher Höhe, bewirkten an diesem Tag, daß die Elmwelle bis etwa 6000 m reichte.

Wie aus dem schon oben erwähnten Bericht von Prof. Georgii hervorgeht, ist die Höhe der Inversion mit gleichzeitiger Windstärkeänderung als Knotenfläche wirksam. An dieser Knotenfläche werden die langen Wellen in der Art reflektiert, daß sie darüber große Amplituden haben. Große Amplitude ist gleichbedeutend mit großen Vertikalgeschwindigkeiten (Steigen!). Normalerweise befindet sich die Knotenfläche in Höhe der Tropopause (Isothermie und Windstärkesprung durch Jetstream), durch die am 14.8. vorhandene besondere Schichtung der Atmosphäre lag sie in 2500 m. Da die kurzen Wellen, die in geringen Höhen große Amplituden und damit ausfliegbares Steigen haben, am Elm bis etwa 2500 m reichen, war es an diesem Tag möglich, durch die Knotenfläche zu steigen und darüber in der langen Welle weiterzusteigen.

Beide Systeme überlagern sich natürlich, so daß ein kontinuierlicher Übergang von einem zum anderen Wellentyp vorhanden ist. (Siehe dazu Bild 5).


Bild 5: Überlagerung von langer und kurzer Welle

Um am Elm Höhenflüge mit 3000 bzw. 5000 m Höhengewinn machen zu können, sind demnach folgende Voraussetzungen nötig:

1.) Wind aus 240 Grad mit 24 bis 28 kt. Dadurch bildet sich ein Wellensystem, welches bis etwa 2500 m ausfliegbar ist.

2.) Eine durch spezielle thermische Schichtung und Windstärkesprung gebildete Knotenfläche in 2000 bis 2500m Höhe. Dadurch ist ein Erreichen großer Höhen möglich mit im Mittel guten Steiggeschwindigkeiten in allen Höhen.

 Durch die mit zunehmender Zeit bedingte Anhebung der Inversion auf etwa 3000 m wurde am 14.8. die Wirkung der Knotenfläche laufend schwächer. Aus diesem Grund sind die beiden anderen von Braunschweig aus erfolgten Wellenflüge gegen Abend nur bis 4300 m gegangen. Die beste Wellenkonfiguration dürfte etwa um die Mittagszeit vorhanden gewesen sein, als H. König 54oo Meter erreichte.

Wie oft diese Wetterlage im Jahr eintrifft, läßt sich schwer sagen. Man müsste das Wettergeschehen der letzten Jahre daraufhin untersuchen. Sicher ist jedoch, daß der erforderliche Wind relativ oft im Jahr bläst. Windquelle ist meist ein Sturmtief über der nördlichen Nordsee.

Interessant wäre eine ähnliche Auswertung der bisher am Deister und Ith erfolgten Wellensegelflüge, um so vielleicht zu einer für alle niedersächsischen Berge gültigen Voraussetzung zum Wellensegelflug zu kommen.

Braunschweig, den 12.l0.66


Kommentierendes Zitat (GEORGII, 1967):
"Die Frage, ob die Wellen auch am Elm 5.000 m Höhe erreichen, möchte der Verfasser noch offen lassen, da es durchaus möglich ist, daß sie bei starkem SW-Wind vom Harz ausgelöst werden."