Dynamische Aufwinde an konvektiv bedingten Strömungshindernissen
(Zwei Denkmodelle zur Diskussion)
Ein allgemein bekanntes Phänomen ist das gelegentliche Auftreten von Aufwinden
im Luv (z.T. auch im Lee) von thermischen Aufwinden, die das Übersteigen derselben z.T. mit vielfacher Überhöhung ermöglichen.
Diese Aufwindformen treten sowohl in Begleitung von Quellwolken als auch
bei Blauthermik auf. Der Anschaulichkeit halber wird der thermische Aufwind
nachfolgend ausschließlich als Wolkenthermik dargestellt.
Durch die Extraktion zweier Denkmodelle aus den vorhandenen Darstellungen der
Entstehungsmechanismen dieses Phänomens wird nachfolgend ein
Diskussionsvorschlag zu der Frage herausgearbeitet, welche Bedingungen nötig und welche Mechanismen wirksam sein
könnten um entweder "Hangaufwinde"
oder "Wellenaufwinde" entstehen zu lassen.
Durch den Versuch einer solchen Unterscheidung ergeben sich Konsequenzen für
die fliegerische Praxis.
Das Phänomen wird allgemein und grundlegend folgendermaßen erklärt: "Wächst eine Quellwolke in die Höhe, so behält sie noch längere Zeit die horizontale Bewegung bei, die sie in den unteren Luftschichten angenommen hat. Ist jetzt eine positive Geschwindigkeitsscherung (Windzunahme) mit der Höhe vorhanden, so stellt diese Wolke ein Hindernis für die oberen Luftschichten dar und zwingt diese, die Wolke zu um- und zu überströmen." [Erland Lorenzen und WMO/OSTIV].
Die Cumuluswelle
[Quelle: Erland
Lorenzen, Entstehung, Eigenschaften und Vorhersage von Leewellen -
ein allgemeiner Überblick]
Schematische Darstellung einer Cumuluswelle mit
zugehörigem Windprofil
[Quelle: WMO/OSTIV "Handbuch
der Flugwettervorhersagen für den Luftsport" Kapitel
4. "Die Vorhersage von Thermikwellen" (PDF)]
Dieser Mechanismus läßt sich etwas genauer wie folgt darstellen als:
1. Hangaufwind am thermischen Aufwind
Dominierende
Größe bei diesem Denkmodell ist der (horizontale) Geschwindigkeitsunterschied zwischen dem
aus der langsameren Reibungsschicht stammenden thermischen Aufwind und der
schnelleren freien Strömung in größerer Höhe. Bei stetig zunehmenden Wind
mit der Höhe wird das aufsteigende Warmluftpaket (Blase/Schlauch) mit
zunehmender Aufstiegshöhe trägheitsbedingt immer mit dem geringeren
horizontalen Bewegungsimpuls als die Umgebungsluft versehen sein. Der Effekt
tritt am wirksamsten auf bei starker Windzunahme ohne Windrichtungsänderungen
mit der Höhe, bei hohen Aufwindgeschwindigkeiten (Trägheit!) sowie bei
ortsfesten Aufwindquellen (z.B. "Leebärten")
Laut OSTIV-Handbuch gilt als Faustregel:
Die vertikale Scherung der Windgeschwindigkeit muß minimal 3 m/s pro 1.000 m
betragen, ohne daß dabei ein Windrichtungssprung auftritt.
Wenn auch der thermische Aufwind beim Aufsteigen eine horizontale Beschleunigung ("Versatz" - gelbe Linie bzw. Pfeile im nachfolgenden Schema) erfährt, die nicht vernachlässigt werden darf, so verbleibt doch je nach Gegebenheit ein relativer, mehr oder weniger großer kinetischer Energieüberschuß der horizontaler freien Strömung (grüne Pfeile im nachfolgenden Schema), der ein Umströmen und ggfs. ein Überströmen des thermischen Aufwindes bedingt.
[Eigener Entwurf]
Obschon über dem thermischen Aufwind stets stabile atmosphärische Verhältnisse auftreten werden, ist das Vorhandensein einer Inversion im Schichtungsgradienten für den Effekt nicht erforderlich.
Analog zu dem
orographischen Hangaufwind befindet sich das dynamische Aufwindfeld in direkter
Hindernisnähe. Die stärksten Aufwindwerte werden dort zu finden sein, mit
zunehmender Entfernung zum Hindernis (horizontal und vertikal) werden diese
abnehmen.
Es erscheint fraglich, ob der für VFR-Flüge geforderte minimale horizontale
Wolkenabstand von 1,5 km bei der Nutzung solcher Aufwinde eingehalten werden kann.
Ein stetiger, aber nicht laminarer Aufwind wird zu konstatieren sein. Die
horizontale Höhenwind-Differenzkomponente (grüner Pfeil im obigen Schema) kann
stark vertikal ausgelenkt werden und somit große Steigwerte bewirken.
Ein Nachschwingen der Strömung im Lee des thermischen Aufwindes wird es nicht geben.
Ein solches Nachschwingen ist nach den oben zitierten Quellen "das" Kriterium für das Vorhandensein einer "Thermikwelle"
Die OSTIV-Publikation macht ausdrücklich das Vorhandensein einer Inversion über der konvektiv durchmischten Grundschicht zur Bedingung für das Auftreten von Thermikwellen.
Als Spezialfall wird die Ausbildung eines Wellensystems über einem durch thermische Zirkulationsprozesse bedingten Wolkenstraßensystem beschrieben, vgl. Abb. u.
Bei den zitierten Ausführungen zur Entstehung einer Thermikwelle unter Beteiligung einer Sperrschicht als Schwingungsträger ansetzend läßt sich folgende idealtypische Situation konstruieren bzw. weiter ausarbeiten:
2. Wellenaufwind am thermischen Aufwind
Dominierende Größe bei diesem Denkmodell ist die Verformung der Grenzfläche durch einen in diese hineindrückenden thermischen Aufwind und zwar in Gestalt einer Aufbeulung derselben. Dieses ist in Natura des Öfteren zu beobachten, häufig als Zwischenstadium eines durch die Sperrschicht brechenden Aufwindes, dessen Quellungen zunächst in Höhe von sich seitlich ausbreitenden flachen Schlieren- bzw. geringmächtigen Schichtwolkenstrukturen verharrt und dann je nach Aufwindstärke und den oberhalb der Schichtgrenze herrschenden Schichtungsverhältnissen entweder Lentiformen ausbildet oder mit vehementer Kraft ungehindert weiterquillt. Voraussetzung für die Entstehung eines dynamischen Aufwindes an der aufgebeulten Schichtgrenze ist ein Windsprung, genauer eine Geschwindigkeitszunahme in der Strömung. Für die Entstehung eines vertikal und horizontal ausgedehnten Wellensystems an einer solchen - eine ideal-laminare Strömung tragende - wellenden Grenzfläche müssen die zur Bildung von Leewellen bekannten Bedingungen erfüllt sein.
Den Idealfall einer solchen Situation konnte Andreas (Gidde, Bisperode) am 10.10.2004 an einer künstlichen (ortsfesten!) Aufwindquelle, dem KKW Grohnde, fotografieren:
Kühlturmaufwind des KKW Grohnde mit "Cap
Cloud" am 10.10.2004, Foto: Andreas Gidde
Das zugehörige Denkmodell ist in der folgenden Grafik dargestellt:
[Eigener Entwurf]
Hier wird sich ein laminarer dynamischer Aufwind in größerer Entfernung luvwärts der Cu-Wolke entwickeln - im Gegensatz zu dem Denkmodell "Hangaufwind am thermischen Aufwind", in direkter Nähe luvwärts des thermischen Aufwindes wird unter der Sperrschicht eher ein stagnierender Bereich zu finden sein. Der Stau bedingt die erwähnte Aufwölbung der Grenzfläche und ein Umfließen des Cu.
Ein Einstieg in die laminare Strömung luvwärts des thermischen Aufwindes wird durch einfaches Vorfliegen in diese Richtung dann zu erreichen sein, wenn die Grenzfläche dort unter Basisniveau schwingt. Die Steigwerte werden in der Regel geringer sein, als die beim Denkmodell "Hangaufwind am thermischen Aufwind".
An dieser Stelle gilt es hervorzuheben, daß die Schwingung der Grenzfläche und die Verteilung der Thermik darunter ein rückgekoppeltes System bilden, sich also gegenseitig beeinflussen: der von der Thermik verursachte Wellenberg fördert die Ausbildung von höherreichender Thermik dort (bewirkt also - wiederum auf sich selbst positiv rückkoppelnd - eine Verstärkung derselben) und schwächt diese in den Bereichen der Wellentäler ab. Womöglich bewirken diese Zusammenhänge gar die laterale Ausbreitung eines initialen "Wellenkegels" zu einem "Wellenkamm" mit größerer seitlicher Ausdehnung? (vgl. auch Fotos "Impressionen" unten)
Diesen bzw. einen ähnlichen Effekt hat Herbert (Horbrügger, Dingel) am 28.12.04 am Harz fotografiert (vgl. folgende Abb.): Eine Wellenströmung führt zu einer wolkenstraßen-artigen Aufreihung von Cu (man beachte die vertauschte Ursächlichkeit zu dem o.a. OSTIV-Schema "Wellensystem über Wolkenstrassen"!). Inwieweit diese allerdings tatsächlich durch Labilisierung unter den Wellenbergen oder vielleicht doch rein dynamisch durch die Rotorströmung entstanden ist, soll und kann hier nicht abschließend diskutiert werden. Denkbar ist, daß sie durch eine Mischform beider Mechanismen bedingt ist
Leewellen-Flug vom 28.12.04 am Harz
[Foto: Herbert Horbrügger, Dingel]
Bekannt ist allerdings, daß - wenn der "Scale" der Vorgänge stimmt - vertikale Schwingungen in der Atmosphäre sogar zu einem gewitterauslösenden Faktor werden können (Mündl. Mitt. v. Prof. Hauf, Met. Inst. d. Uni Hannover).
Die gegenseitige Abhängigkeit von atmosphärischen Schwerewellen und der thermischen Konvektion ist m.E. gerade im Zusammenhang mit der Klärung auch der direkten Mechanismen von dynamischen Aufwinden an konvektiv bedingten Strömungshindernissen ein weites Feld für künftige Beobachtungen, Schlußfolgerungen und Diskussionen.
Hier noch einige Impressionen:
Welle an einem Cu Cong, Flugplatz Bad Gandersheim
Blick NW, Datum nicht mehr feststellbar (Foto: Jörg Dummann)
Thermikwellenflug
vom 27.07.05 südlich von Cottbus [Video-Screenshot: Carsten Andresen,
Reinsdorf]
Thermikwellen bei den Segelflug-Weltmeisterschaften in Schweden 2006 [Foto:
Erland Lorenzen]
Stand: 20.08.2006
Unbedingt zum Thema lesen:
German version of the WMO/OSTIV "Handbook
of meteorological forecasting for soaring flight", Kap. 4
"Thermikwellen"
http://www.pa.op.dlr.de/ostiv/Projects/kap4.pdf
(220 kByte)
Passend zum Thema hier ein Ausschnitt aus:
Wellenflüge
am Reinhardswald vom Segelfluggelände "Dingel"
Flüge und Beobachtungen (1995 - 2007)
...und Fragen
(Vortrag gehalten im Rahmen des Mittelgebirgswellen-Fliegertreffens am
23.02.08 im School_Lab des DLR Göttingen)
Ergänzung Jörg Dummann, 22.05.2008:
Alle Ausführungen hier sind m.E. ein schönes
Beispiel dafür, wie in einem interessanten und spannenden Diskussionsprozess
zunächst einmal deutlich wird, wie unterschiedlich man z.B. bei das Phänomen
"Thermikwelle" wahrnehmen und interpretieren kann. Die Fortführung
der Diskussion unter Berücksichtigung möglichst vieler weiterer Fakten, mit
dem Ziel der Entwicklung einer allgemeinverständlichen, anschaulichen
Modellvorstellung, wie Thermikwellen wohl "funktionieren", bis hin zum
Konsens ist doch noch eine schöne Herausforderung... - oder?
Gut mit dem
Denkmodell von Achim und Herbert zu vereinbaren ist folgende auf dem Foto unten
dargestellte Situation :
Ein Cu hat die Grenzfläche (Inversion) nicht aufgewölbt, sondern durchstossen
und ragt so als Luftkörper mit geringerem horizontalen Bewegungsimpuls
(trägheitsbedingt, vgl.o.) in die schnellere Strömung oberhalb der
Grenzfläche hinein - und unser "Hangaufwindmodell" greift...
Aus: "Atmosphärische
Grenzflächen, Wellen und Segelflug"
(Vortrag Jörg Dummann, gehalten im Rahmen des Hessischen
Segelfliegertages 2006 in Hofgeismar)
(Bildquelle: http://www.cepolina.com/freephoto/b5c/b5-cloud.hill-cloud.htm)
Doch
Vorsicht:
Das Foto oben zeigt nur die Situation des Penetrierens einer atmosphärischen
Grenzfläche durch einen thermischen Aufwind - keine Thermikwelle im
Sinn der obigen Ausführungen!
Die Ringwellen jedoch, die sich auf der Oberseite des die Grenzfläche
markierenden Stratus' konzentrisch von dem Cu-Top ausgehend abbilden, zeigen,
daß das Phänomen noch ganz andere Seiten hat: versetzt hier doch offenbar der
von unten kommende Impuls die Grenzfläche - zwischen dichterer Luft unterhalb
und weniger dichter Luft oberhalb derselben - in eine Wellenbewegung, die der zu
entsprechen scheint, die ein von oben in ruhendes Wasser geworfener Stein
an der Fläche des Dichtesprunges zwischen Wasser und Luft auslöst...
Unser
neues Gesamtbild sollte also um die dritte - hypothetische -
Variante ("Hangaufwind an Thermik nach Durchstossen der Inversion")
ergänzt werden.
Die Ringwellen stellen aber wohl eine sehr spezielle Situation - zwar mit hohem
Veranschaulichungswert für die Dynamik einer atmosphärischen Grenzfläche -
dar, können aber wohl als Entstehungsprozess für die Wellen, die wir in
Situationen mit großen Windgeschwindigkeitszuwächsen in der Höhe erfliegen
können, nicht in Betracht gezogen werden.
Ob sich bei den von uns erflogenen Wellen nicht vielmehr Übergänge zu Scherungswellen werden beobachten lassen können?
Auswertung von Herbert Horbrügger über einen Wellenflug am 22.06.08 südlich von Brandenburg: